"Alles Glaubenssache? Über das Verhältnis von Religion und Demokratie"
26. Februar 2019
Religion, Politik, Demokratie – passt das zusammen? Wie können gelebter Glaube und politisches Gemeinwesen nebeneinander bestehen? Und wie kann sich eine neue religiöse Vielfalt im Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfalten? Darüber sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Gästen aus Wissenschaft, Politik und Medien sowie verschiedener Religionsgemeinschaften auf dem "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie".
Gleich zu Beginn der Veranstaltung stellte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Gretchenfrage in Schloss Bellevue: "Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion?", und verwies damit auf die Vielfalt unterschiedlicher Überzeugungen, Glaubensrichtungen und Wertvorstellungen in Deutschland. Jeder müsse in Deutschland frei sein, diese Frage für sich positiv oder auch negativ zu beantworten, so der Bundespräsident. Zur sechsten Ausgabe des "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie" hatte der Bundespräsident zu einer äußerst komplexen, aber auch drängenden und häufig aufgeladenen Debatte geladen: "Alles Glaubenssache? Über das Verhältnis von Religion und Glauben", hieß das Thema der Veranstaltung. Mit dem Bundespräsidenten diskutierten auf dem Podium Evelyn Finger, Ressortleiterin "Glauben & Zweifeln" der Wochenzeitung "Die Zeit" und zwei Wissenschaftler – der Soziologe und Ernst-Troeltsch - Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Hans Joas, und der Islamwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Islamische Theologie Münster, Mouhanad Khorchide.
Bedeutung der Religion nimmt zu
In seiner Eingangsrede formulierte Bundespräsident Steinmeier zunächst einen offenen Widerspruch der gelebten Religion, nicht nur in Deutschland: "Während die verfasste Religion in ihrer traditionellen, volkskirchlichen Gestalt an Einfluss verliert, nimmt die allgemeine Bedeutung der Religion zu. Zwei Drittel der Deutschen sehen sich selbst als religiös, und für viele spielt der religiöse Glauben eine besonders große Rolle", so der Bundespräsident. Die These von einer "Rückkehr der Religion" greife zu kurz, so Steinmeier. Vielmehr erleben wir eine neue Vielfalt der Religionen in Deutschland. Auch wenn Deutschland mehrheitlich evangelisch und katholisch geprägt sei, gehören Islam, Judentum oder die Orthodoxe Kirche genauso zu unserem Land, so der Bundespräsident.
In diesem Kontext wies der Bundespräsident darauf hin: "Hierzulande neigen wir in unserer Diskussion über das Verhältnis von Religion und modernem Verfassungsstaat allzu oft zu einer problematischen Essentialisierung. Wir sprechen von ꞌdem Islamꞌ, ꞌdem Judentumꞌ, ꞌdem Christentumꞌ. Und wir übersehen dabei schnell, wie unterschiedlich Glauben gelebt wurde und wird." Er ergänzte: "Deshalb lautet die Frage nicht, ob der Islam zu Deutschland gehört – die ist angesichts der Millionen von Muslimen, die in unserem Land leben, längst beantwortet. Die eigentlich Frage lautet: Welcher Islam gehört zu Deutschland? Wie sieht eine islamische Lehre und Glaubenspraxis aus, die mit dem Leben in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft im Einklang steht?"
Religiöse Vielfalt birgt auch Konflikte und kann zu Spannungen führen. "Überall, wo Religionen aufeinandertreffen, sind Konflikte nicht ausgeschlossen. Einige Menschen sehen religiöse Vielfalt eher kritisch. Manche fühlen sich sogar in ihrer Lebensweise bedroht", so der Bundespräsident. Der als Grundrecht geschützten Religionsfreiheit seien dort Grenzen gesetzt, wo die Würde und Integrität des Menschen in Frage gestellt werde, erläuterte der Bundespräsident.
Wer muss sich anpassen: die Demokratie oder die Religion?
Wie kann ein respektvolles Miteinander von Religion und Demokratie gelingen? Auf diese Frage kamen die Diskutanten auf dem Podium, aber auch die Gäste im Publikum immer wieder zurück. Dabei ging es auch darum, wie reformierbar und reformbereit Religionsgemeinschaften sind oder sein müssten. Die Journalistin Evelyn Finger schilderte an diesem Punkt, wie schwierig es sei, sachlich begründete Kritik zu üben, ohne dass diese mit grundsätzlicher Religionskritik gleichgesetzt oder gar als religionsfeindlich bewertet werde. Hans Joas ergänzte, dass die Kirchen Lernprozesse durchlaufen müssten und von ihrer teilweise vorherrschenden "Selbstsakralisierung" abrücken sollten.
Er betonte, Religionen entwickelten sich nicht starr und einzig aus sich selbst heraus, sondern stünden in "permanenter Wechselwirkung mit moralischen Vorstellungen der Menschen, die einer Religion angehören". Zur Veranschaulichung verwies der Soziologe auf die Entwicklung der Sklaverei, die mit dem Prinzip der universalen Menschenrechte und dem Konzept der Menschenwürde eigentlich überhaupt nicht vereinbar und heutzutage zu recht weltweit geächtet sei. Doch in der Geschichte gab es auch christliche Rechtfertigungen dafür, die einem aus heutiger Perspektive absurd erschienen, so Joas.
Nicht nur in Bezug auf die christlichen Kirchen wurden Fragen nach Reformen und Anpassungen aufgeworfen. Auch die Diskussion um Reformen im Islam und eine historisch-kritische Einordnung des Koran lieferte Ansätze zur Kontroverse. Khorchide unterstrich, dass je nach theologischer Interpretation das Verständnis im Islam zwischen einem Gehorsam einfordernden, strafenden und einem Vertrauen schaffenden, liebenden Gott der Barmherzigkeit liegen kann. Letzteres sei auch seine Auslegung. Sie enthalte viele Reformansätze und sei mit der Demokratie vereinbar.
Konkret wurde am Beispiel der grundrechtswidrigen Kinderehe diskutiert, wie wichtig die Rolle der Theologie bei der Kontextualisierung von zu diesem Thema einschlägigen Stellen im Koran ist.
Religionskonflikte: Alles eine Frage der Organisation?
Wie kann Religion in einer freien demokratischen Ordnung gelebt werden und wie sollten die Gläubigen sich organisieren? In diesem Zusammenhang wurde die weiterhin ungelöste Frage der Organisation des Islam in Deutschland und seiner religionsrechtlichen Integration aufgeworfen. Der im Vergleich zu den Kirchen geringe Organisationsgrad von muslimischen Gläubigen in Deutschland erschwere teilweise den Gesprächsaufbau und sorge auf staatlicher Seite manchmal für Unverständnis, so Khorchide. Der Islamwissenschaftler wies darauf hin, dass der Islam eine zentrale Organisation nicht kenne, die islamischen Dachverbände nur eine Minderheit der Muslime repräsentierten und warb in diesem Zusammenhang für eine bessere Einbindung muslimischer Gemeinden in den politisch-gesellschaftlichen Rahmen.
Debatte um Religion und Demokratie muss weitergehen
Am Ende einer intensiven Debatte, in der auch das Publikum mit vielen Beiträgen und Fragen zu Wort kam, stand auch die Erkenntnis, dass der Gesprächsfaden nicht abreißen dürfe. In diesem Sinne bemerkte auch Bundespräsident Steinmeier, dass das komplexe Verhältnis von Religion und Politik in einer Veranstaltung nicht abschließend abgebildet werden könne. Sie biete aber Impulse, sich weiter mit dem Verhältnis von Religion und Demokratie auseinanderzusetzen und dieses Spannungsverhältnis zu diskutieren.