"Fakt oder Fake? Über einen bedeutenden Unterschied für die Demokratie"
21. März 2018
Welche Rolle spielen Medien für die Zukunft der Demokratie und wie beeinflusst die Digitalisierung unsere Meinungsbildung? Über diese Fragen diskutierte Bundespräsident Steinmeier auf dem dritten "Forum Bellevue" mit Journalisten und Wissenschaftlern.
"Die Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist." So zitierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Philosophin Hanna Arendt zu Beginn der dritten Ausgabe des "Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie". Wie lassen sich im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung allgemeingültige Fakten vermitteln? Wie können Medien Menschen erreichen, die sich in ihrer Meinungsbildung nicht von Tatsachen, sondern von ihrem Bauchgefühl oder ihren Emotionen leiten lassen? Darüber diskutierte Bundespräsident Steinmeier mit Journalisten und Wissenschaftlern.
"Fakt oder Fake? Über einen bedeutenden Unterschied für die Demokratie" lautete das Thema, das nicht nur auf dem Podium, sondern auch mit den geladenen Gästen intensiv und kontrovers diskutiert wurde. Zur Diskussion geladen waren: Michael Butter, Professor für Amerikanistik und Experte für Verschwörungstheorien an der Universität Tübingen, Jeff Mason, Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters im Weißen Haus, der Chefredakteur der "Welt" Ulf Poschardt und Julia Stein, Leiterin der Redaktion Politik und Recherche beim NDR und Vorsitzende des Netzwerk Recherche.
Trotz aller Veränderungen, die soziale Medien mit sich bringen, so Professor Butter, seien Unwahrheiten und Verschwörungstheorien keineswegs ein Produkt des 21. Jahrhunderts. Nicht nur im letzten Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton habe es zahlreiche Unwahrheiten und unbewiesene Anschuldigungen gegeben, sondern schon im US-amerikanischen Wahlkampf von 1800, in dem der Kandidat John Adams unter anderem behauptet hatte, sein Gegner Thomas Jefferson lebe gar nicht mehr. Damals hielten sich solche Gerüchte hartnäckig, weil die Öffentlichkeit keinen breiten Zugang zu Informationen hatten, heute verbreiteten sich entsprechende Informationen "epidemisch" so Bundespräsident Steinmeier. Ihre Entkräftung gelänge auch deshalb oft nicht mehr, weil von den klassischen Medien wahrgenommenen "Informationshierarchien" vor allem durch die Sozialen Medien entfallen seien.
Soziale Medien hätten laut dem Bundespräsidenten auch dazu beigetragen, dass wir es mittlerweile mit einer "Parzellierung der Öffentlichkeit" zu tun haben: "Es sind Parallelwelten entstanden, in denen die Selbstbestätigung durch den Austausch mit Gleichgesinnten vorherrscht und alles ausgeblendet wird, was der eigenen Sichtweise widerspricht", sagte Steinmeier.
Ulf Poschardt erkannte zwei Kernherausforderungen für den Journalismus: der dauernde Versuch einer Delegitimation von Medien als "Systemmedien", unabhängig davon, ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert, sowie die sich verändernde wirtschaftliche Basis für journalistische Arbeit.
Wie sollten Medien und Öffentlichkeit auf diese Entwicklung reagieren? Wie können Medien, wie es Bundespräsident Steinmeier formulierte, "Inseln der Verlässlichkeit sein, auf die wir unser Urteil stützen?".
Zunächst müssen alle "früher aufstehen", so Jeff Mason – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er und seine Kollegen können angesichts der Twitter-Tiraden des US-Präsidenten, die vorzugsweise am frühen Morgen verschickt werden, nicht mehr auf die nächste Pressekonferenz warten, sondern beobachten ab sechs Uhr morgens die sozialen Medien. "Vor ein paar Jahren hat unser Büro in Washington erst um sieben Uhr aufgemacht, das ist vorbei", so Mason. Doch das reicht für die Akzeptanz der Medien längst nicht aus. Professionelle, gewissenhafte Arbeit und eine offene Fehlerkultur sind unabdingbar, ergänzte Julia Stein vom Netzwerk Recherche. Dazu gehöre auch, dass sich Medien nicht von "Schwingungen oder Stimmungen" leiten lassen, sondern sich an Fakten und Tatsachen orientieren. Außerdem müssten Journalisten die "Geschichten der Bürger" erzählen.
Es reiche aber nicht aus, dass sich nur die Medien auf die veränderten Kommunikationswege und -mittel einstellen, ergänzte Ulf Poschardt. Mehr Medienkompetenz in der Bevölkerung, die auch an Schulen unterrichtet werden sollte, sei ebenso notwendig. Der Bundespräsident stellte in diesem Zusammenhang anerkennend fest, dass Schulen und Medieninstitutionen viel leisteten und er an dieser Stelle auch eine Verantwortung des Journalismus und der Verlage sehe, Medienkompetenz zu vermitteln.
So schwierig und unübersichtlich die Zeiten auch sein mögen, die Diskutanten sehen auch positive Entwicklungen, vor allem beim verstärkten Medienkonsum und einer verbesserten Zugänglichkeit zu Informationen. "Es wird so viel gelesen wie noch nie. Egal, ob in der Zeitung oder digital. Die Menschen haben ein verstärktes Bedürfnis nach politischen Inhalten", so Poschardt. Dafür hätten die Brexit-Entscheidung und die Wahl Donald Trumps wie Weckrufe gewirkt und die Nachfrage nach seriösen Inhalten gesteigert. Die Menschen lernten Qualitätsjournalismus aktuell wieder mehr zu schätzen, und immer mehr junge Menschen interessierten sich für Journalismus als Beruf. Das ist zumindest eine positive Folge unserer unübersichtlich und komplex gewordenen Politik- und Medienwelt, resümierte Jeff Mason zum Schluss der Veranstaltung. Zugleich seien die neuen Medien Ansporn für den klassischen Journalismus, besser zu werden.